Wie macht man die Zahlen schöner - Auslegung der Konvergenzkriterien zu Beginn des Euros.
Im Vertrag von Maastricht 1992 sind die Beitrittsvoraussetzungen für den Einstieg in den Euro festgelegt (Maastricht-Kriterien). Hinsichtlich der Finanzlage der öffentlichen Haushalte sind die Verschuldungskriterien wichtig, diese besagen:
• Die Gesamtverschuldung des Staates darf nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsprodukt betragen (es sei denn, es ist eine rückläufige Tendenz zu beobachten)
• Die jährliche Neuverschuldung darf nicht mehr als 3 % des BIP betragen
Diese Kriterien haben das Ziel, in der EU, insbesondere in der entstehenden Eurozone, eine Angleichung der Leistungsfähigkeiten der einzelnen nationalen Wirtschaftsräume zu fördern und damit eine grundsätzliche wirtschaftliche Stabilität und Solidität der EU zu gewährleisten.
Die Frage, wie strikt die Erfüllung der Konvergenzkriterien gehandhabt werden sollte, war seit ihrer Einführung umstritten.
Während manche Länder, insbesondere Deutschland, auf einer harten haushalts- und währungspolitischen Linie bestanden, betonten andere vor allem den politischen Nutzen der Währungsunion, der nicht durch zu strenge Beitrittsregeln gefährdet werden sollte.
Im Konvergenzbericht des Europäischen Währungsinstitutes von 1998 wurde geprüft, ob ein hohes Maß an dauerhafter Konvergenz in den einzelnen Ländern erreicht wurde. Gemäß dem Bericht wiesen für das Jahr 1997 drei Länder (Dänemark, Irland und Luxemburg) Haushaltsüberschüsse auf, elf Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Finnland, Schweden und das Vereinigte Königreich) erzielten oder hielten ihre Defizite weiter in Höhe des im Vertrag vorgesehenen Referenzwertes von 3 % oder darunter. Nur in Griechenland lag das Defizit bei 4,0 % und damit noch deutlich über dem Referenzwert.
Was die Gesamtverschuldung betrifft, wiesen viele Länder zu Beginn der Einführung des Euros eine Schuldenquote von über 60 % mit einer Tendenz zur leichten Verbesserung auf, ohne aber eine realistische Chance zu haben, in absehbarer Zeit unter die Zielmarke zu gelangen. So ist die Verschuldung in den drei folgenden Mitgliedstaaten mit einem Schuldenstand im Verhältnis zum BIP von über 100 % weiter zurückgegangen. In Belgien betrug die Schuldenquote 1997 122,2 %. Sie lag damit 13,0 Prozentpunkte unter ihrem Höchststand im Jahr 1993. In Griechenland belief sie sich im Jahre 1997 auf 108,7 % und lag damit 2,9 Prozentpunkte niedriger als ihr letzter Höchststand im Jahr 1996. In Italien lag die Schuldenquote mit 121,6 % um 3,3 Prozentpunkte unter ihrem Höchststand im Jahr 1994. In den sieben Ländern, deren Schuldenstand im Jahr 1996 deutlich über 60 %, aber unter 80 % des BIP lag, waren diese Quoten ebenfalls rückläufig. Auch Deutschland lag mit 61,3 % knapp über der Grenze.
Es stellt sich die Frage ob einige dieser Länder, insbesondere Griechenland, mit dieser hohen Schuldenquote den Euro überhaupt hätte einführen dürfen? Denn der Konvergenzbericht weist aus, dass bereits zu Beginn bzw. kurz vor Beginn der Währungsunion viele Länder die Haushaltskriterien nicht einhalten konnten.
Ferner weist der Bericht dezent darauf hin, „dass in einer Reihe von Mitgliedsstaaten Maßnahmen mit begrenzter Wirkung zur Verringerung der Defizite beigetragen haben“. Die Rückführung der Schuldenquote war zum Teil auf eine Reihe finanzieller Operationen und Transaktionen wie bspw. Privatisierungen zurückzuführen. Viele Staaten, so auch Deutschland, haben in die Trickkiste gegriffen um den Vorgaben zu entsprechen. Speziell Griechenland hat, laut eines Berichtes von Eurostat aus dem Jahr 2004, die Defizitzahlen nicht nach europäischen Regeln berechnet. Nach einer Neuberechnung lag das Defizit für die Jahre 1997 bis 2000 über dem Konvergenzkriterium von 3% des BIP, so dass Griechenland eigentlich nie hätte der Währungsunion beitreten dürfen. Ein eingeleitetes Verfahren wurde jedoch 2007 eingestellt, nachdem die Berechnungsverfahren berichtigt wurden. Allerdings wurde 2010 bekannt, dass Griechenland auch später noch gegen das Stabilitäts- und Wachstumspaket verstoßen hat und dies durch statistische Beschönigungen verschleierte.
Aber auch Länder wie Deutschland und Frankreich haben getrickst, um die Defizitkriterien erfüllen zu können. So verkaufte die deutsche Bundesregierung Aktien der Deutsche Telekom und der Deutsche Post an die staatseigene Bank KfW, um seinen Schuldenstand zu verringern. Faktisch blieb dabei das Risiko ebenso wie die Dividendeneinnahmen jedoch beim Bund. Frankreich übernahm die Pensionsverpflichtungen der privatisierten France Telecom und erhielt einmalig 37,5 Milliarden Francs, wodurch sich das Staats Defizit um etwa 0,6 Prozentpunkte gesenkt hat. Wenn folglich Griechenland sehr negativ dargestellt wird, so muss auch bedacht werden, dass Deutschland und Frankreich, die als „Lokomotiven“ der Europäischen Union gelten, versucht haben, durch „kosmetische Buchungen“ die Zahlen zu schönen.
Hinzu kommt, dass (ausgerechnet) Deutschland und Frankreich die ersten Länder nach Einführung des Euros waren, die gegen die 3%-Marke verstoßen haben (Von den „falschen“ griechischen Zahlen wusste man damals offiziell noch nichts). Diese beiden Länder haben – in intensiven Verhandlungen - erreicht, dass sie keine Sanktionen erleiden mussten.
Viele sehen genau hier ein Problem. Warum sollten sich andere Länder weiterhin so streng an die Einhaltung der Kriterien orientieren, wenn selbst die beiden führenden Länder in der Eurozone sich nicht daran halten? Ist es richtig, dass über die Einhaltung und die Sanktionen nur die Politiker entscheiden sollen und die Bürger diese Entscheidungen einfach hinnehmen müssen? Sollen über diese wichtigen wirtschaftspolitischen Angelegenheiten nicht die Bürger direkt bestimmen?